Unternehmen auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität: Wie lange steht das Bier im Kühlschrank?
Immer mehr Unternehmen wollen klimaneutral werden. Doch was genau heißt das eigentlich? Und gibt es einheitliche Standards und Definitionen? Antworten auf diese Fragen erhielten große Bremer Unternehmen beim Netzwerktreffen des Effizienztischs „energiekonsens Klassik“ der gemeinnützigen Klimaschutzagentur energiekonsens bei der HANSA-FLEX AG in Bremen.
Meist wird der Begriff Klimaneutralität falsch verwendet, erläuterte Experte David Kroll von der Prüfungsgesellschaft GUTcert, die Klimaschutz und Energieeffizienz in Unternehmen zertifiziert. Denn um wirklich klimaneutral zu sein, müssen nicht nur Treibhausgasemissionen, sondern auch Faktoren wie Biodiversität oder Bodenverunreinigung berücksichtigt werden, die ebenfalls einen Effekt auf das Klima haben. Das geschieht in den allermeisten Fällen aber nicht.
Also geht es in der Regel eher um CO₂-Neutralität und Net Zero Emissionen. Erstere nimmt nur die Emissionen von Kohlendioxid in den Blick, bei Net Zero Emissionen geht es um alle Treibhausgase, die zur besseren Vergleichbarkeit in CO₂-Äquivalente umgerechnet werden. Man spricht auch von Treibhausgasneutralität oder Netto-Null-Emissionen. Diese Definition liegt auch den EU-Klimazielen und dem Klimaschutzplan des Bundesumweltministeriums für 2050 zu Grunde.
Ist die Definition geklärt, ergibt sich die nächste Frage: Wo entstehen die Emissionen überhaupt? Dabei wird in der Bilanzierung zwischen Scope 1, 2 und 3 unterschieden. „Würde man eine große Glocke über ein Unternehmen stülpen, fallen die Treibhausgase, die sich darin sammeln, unter Scope 1. Dazu gehören unter anderem Brennstoffe oder der Fuhrpark“, erläutert Kroll. „Scope 2 berücksichtigt indirekte Emissionen wie Strom, Dampf und Heizung.“
Entscheidend ist für Kroll aber Scope 3: „Da spielt die Musik, das ist häufig der Kern der Treibhausgasneutralität.“ Eingekaufte Güter und Dienstleistungen, Logistik und sogar Nutzung der Produkte gehören dazu. „Im Extremfall könnte man zum Beispiel beim Bier nicht nur danach schauen, wie es produziert wird, sondern auch, wie lange es im Supermarkt und auch nach dem Kauf gekühlt wird, bis es getrunken wird, und die dadurch entstehenden Emissionen einbeziehen.“
Bei einem Kraftwerk entstehen die meisten Emissionen vor Ort, fallen also unter Scope 1, während Automobilhersteller einen Großteil ihrer Teile zugeliefert bekommen und diese eigentlich nur noch zusammensetzen, sodass hier die Scope-3-Emissionen deutlich höher sind, berichtete Kroll. Allerdings würden nur rund 25 Prozent der Unternehmen diese Emissionen in den Blick nehmen. Kroll sieht das kritisch: „Wenn Kund*innen ein Treibhausgasneutrales Produkt kaufen, erwarten sie natürlich, dass auch die Vorkette dabei berücksichtigt wurde.“ Haben Unternehmen keinen Einfluss auf die vorgelagerten Emissionen, gelte es, dies gut zu begründen. Wird bei der Bilanzierung der Treibhausgasemissionen das gesamte Unternehmen einbezogen, spricht man vom Corporate Carbon Footprint, während der Product Carbon Footprint nur einzelne Produkte in den Fokus nimmt.
In drei Schritten zum Klimaschutz in Unternehmen
Entscheidend auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität sei der Dreischritt aus vermeiden, reduzieren und kompensieren – in dieser Reihenfolge. „Wenn die Projekte valide sind, kann man kompensieren. Aber wirklich als letztes Mittel. Denn was passiert zum Beispiel, wenn ein zur Kompensation angelegter Wald abbrennt? Verfällt dann auch das Zertifikat für das Unternehmen oder die Produkte?“, gibt Kroll zu bedenken.
Am Effizienztisch „energiekonsens Klassik“, der vom Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung gefördert wird, tauschen sich die Unternehmen Airbus, Anheuser-Busch InBev, ATLAS ELEKTRONIK, BOCK Bio Science, HANSA-FLEX, HELLA Fahrzeugkomponenten und saturn petcare; aus Bremerhaven nehmen zudem das Druckzentrum Nordsee, Ludolph Bremerhaven und müllerditzen zum Energieeffizenz- und Klimaschutzthemen aus. Einige der Unternehmen haben sich bereits Treibhausgasneutralität als Ziel gesetzt und die Teilnahme an dem dreijährigen Netzwerkformat von energiekonsens ist ein Baustein auf dem Weg dahin.
Über das Projekt
Der Effizienztisch "energiekonsens Klassik" ist Teil des Projekts „Bremer Unternehmen sparen CO₂“, gefördert aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), Investition in Bremens Zukunft sowie aus Mitteln der Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau. Projektträger ist energiekonsens, die gemeinnützige Klimaschutzagentur für Bremen und Bremerhaven. Kooperationspartner sind die Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) und die Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung (BIS).