Erfassung von Scope-3-Emissionen: Pragmatismus in der Königsdisziplin
Wollen Unternehmen ihre Treibhausgasemissionen senken, müssen sie wissen, wo diese entstehen – auch die indirekten. Während der CO₂-Ausstoß für bezogenen Strom und Wärme noch relativ leicht zu erfahren ist, wird es bei eingekauften Produkten und Dienstleistungen schnell komplex. Wie Betriebe diese Scope-3-Emissionen erfassen können, erfuhren die Teilnehmer*innen der Energieeffizienztischs „Zero“ während eines Netzwerktreffens im Weser Stadion.
„Scope 3 ist die Königsdisziplin. Da werden die Unternehmen von vorne und hinten gepiekst und gefragt: ,Hey, wie sind deine Emissionen“, so Bernd Langer, stellvertretender Geschäftsführer von energiekonsens und Teamleiter Unternehmen. Denn anders als Scope-1-Emissionen, die im Unternehmen selbst entstehen oder Scope-2-Emissionen, die durch den Bezug von Energie zur Nutzung vor Ort verursacht werden, schaut das Greenhouse Gas Protocol in Scope 3 danach, was außerhalb der Betriebsgrenzen passiert.
Neben Pendelverkehren, Vorprodukten, Vermietungen und auch die Weiterverarbeitung produzierter Güter verursachen elf weitere Kategorien in Scope 3 ebenfalls klimaschädliche Gase. Unternehmen können dabei selbst festlegen, was in ihre Treibhausgasbilanz einfließt, indem sie sich für einen Bilanzierungsansatz entscheiden. Vereinfacht gesagt, haben sie so die Möglichkeit, entweder Emissionen zu berücksichtigen, über die sie finanzielle Kontrolle haben, oder nur jene, über die sie direkte Entscheidungshoheit besitzen.
Treibhausgasbilanz: Es gibt immer Unsicherheiten
„Unternehmen sollten sich zuerst fragen: ,Wo will ich hin?’“, erläuterte Treibhausgas-Bilanzierungsexpertin Susanne Schmidt Almeida vom Beratungs- und Softwareunternehmen ÖKOTEC Energiemanagement in Berlin während ihres Vortrags. Ist diese Entscheidung getroffen, geht es ans Datensammeln. „Ideal ist es, wenn Unternehmen von Zulieferern in ihrer eigenen Wertschöpfungskette die Emissionen der Produkte oder Aktivitäten erfahren.“ Allerdings müssen auch die Einkäufer*innen im eigenen Betrieb in der Lage sein, diese Informationen kritisch einzuordnen. Fehlt diese Expertise ließe sie sich mit Schulungen langfristig aufbauen.
Solche Primärdaten ließen sich häufig erfragen, doch auch wenn keine konkreten Informationen vorliegen, sollte sich niemand entmutigen lassen. „Die Berechnung einer Treibhausgasbilanz ist mit großen Unsicherheiten verbunden: Es gilt das Pi-mal-Daumen-Prinzip.“, berichtete Schmidt Almeida. „Man arbeitet im ersten Schritt am besten mit den Daten, die man hat oder am einfachsten erheben kann, nimmt aber auch schon mal Kontakt mit Lieferanten auf, um vielleicht beim nächsten Mal bereits mit einer besseren Datenbasis arbeiten zu können.“ Für viele Produkte und Tätigkeiten gibt es außerdem Modelle und Datenbanken, mit denen sich rechnen ließe.
Dokumentation ist A und O
Entscheidend sei, das Vorgehen stets genau festzuhalten: „Konkrete Anweisungen sind enorm hilfreich, aber die Dokumentation ist das A und O. Denn wer etwas nur einmal im Jahr macht, entwickelt keine Routine und überlegt sonst immer aufs Neue, wie er oder sie zu diesen Zahlen gekommen ist, und darunter leidet die Vergleichbarkeit.“
Wichtig sei es vor allem, sich zu überlegen, welche Bereiche überhaupt wichtig sind. „Viele Unternehmen denken: ,Oh mein Gott, jetzt muss ich Kaffee und Toilettenpapier bilanzieren.’ Dabei ist das für die Emissionen insgesamt vielleicht gar nicht relevant“, sagte Schmidt Almeida. „Es kommt immer auf die Geschäftsaktivität des Unternehmens an.“
Einfluss nicht unterschätzen und kreativ werden
Wichtig sei es, zu erkennen, was relevant ist und die eigenen Einflussmöglichkeiten zur Reduktion dieser indirekten Emissionen nicht zu unterschätzen. „Die Reduktion von Scope 3 ist immer langfristig gedacht“, so Schmidt Almeida. Mit etwas Kreativität ließen sich häufig Anreize setzen, um Lieferant*innen, Käufer*innen und Mieter*innen dazu zu bringen, ihre Emissionen zu senken. Anders als bei vielen als „klimaneutral“ beworbenen Produkten, zählen CO₂-Kompensationen allerdings nicht: Alle Emissionen fließen in die Bilanz.
„Es ist wichtig, seine direkten und indirekten Emissionen abzuschätzen, im Blick zu behalten und dafür zu sorgen, dass durch die Integration eines Klimamanagements Unternehmensentscheidungen nicht plötzlich einen langfristigen Emissionsanstieg verursachen“, so Schmidt Almeida. „Noch wichtiger ist jedoch, schnell in den Reduktionsprozess zu kommen: Wir müssen Maßnahmen ergreifen und umsetzen, um Netto-Null zu erreichen. Die THG-Bilanz ist nur der erste Schritt dahin.“